Wolfgang Hawly

Diese Rede von Angela Merkel zeigt, wie egal ihr Europa eigentlich ist

 

Die CDU als europafreundlichste Partei Deutschlands? Das ist lange her.

Einem Politiker wie Helmut Kohl hat man den Europa-Enthusiasmus abgenommen. Der Altkanzler hat den Zweiten Weltkrieg selbst miterlebt, fast wäre er selbst zum Frontdienst eingezogen worden. Die europäische Einigung war für ihn von Anfang an ein Friedensprojekt. Und das merkt man seinen Äußerungen bis heute an – sie tragen den Geist des Miteinanders in sich.

Ganz anders ist das bei Angela Merkel: Bisweilen scheint dieses europäische Projekt etwas zu sein, dass ihr irgendwann vor die Füße gefallen ist.

Das war auch am Freitag im Bundestag zu spüren, als Merkel eine Regierungserklärung zu den Ergebnissen der jüngsten Verhandlungen in der Griechenland-Krise abgab.

Merkel hat nicht verstanden, was Europa eigentlich ausmacht

Was Merkel sagte, klang sehr europäisch. „Die EU braucht die Fähigkeit zum Kompromiss wie der Mensch die Luft zum Atmen“, sagte sie etwa. Allerdings: Wo war diese Einsicht, als ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble mit einem „Grexit auf Zeit“ drohte?

Wo war diese Weisheit abgeblieben, als das Abschlusspapier des Brüsseler Gipfels formuliert wurde? Darin steht, dass Griechenland eine ganze Liste an Vorbedingungen erfüllen muss, damit es überhaupt Verhandlungen über ein neues Hilfspaket gibt. Sieht so der von Merkel zitierte Kompromiss aus? Oder nimmt diese Politik eher den Menschen die Luft zum Atmen?

Merkel sagt mit Blick auf ein mögliches neues Hilfspaket: „86 Milliarden Euro – das ist eine nie gekannte europäische Solidarität.“ Hat Merkel wirklich den Kern des Begriffs „Solidarität“ verstanden? Vor allem die dahinter stehende Einsicht, dass man deshalb helfen muss, weil das eigene Schicksal untrennbar mit dem des anderen verbunden ist?

Vielleicht sollte sie mal Herrn Schäuble fragen, der ja in Erwägung zog, Griechenland für einige Jahre seinem eigenen Schicksal zu überlassen.

Darin zeigt sich das ganze Dilemma der deutschen Griechenland- und damit Europa-Politik: Solidarität ist keine Zahl, sondern ein Gefühl. Doch an letzterem mangelt es der Bundesregierung schon seit langer Zeit.