Entmachtet endlich die Alten – nur so hat Deutschland eine Zukunft
Dass „irgendetwas falsch läuft“ in diesem Land ist mittlerweile so mehrheitsfähig geworden wie die Feststellung, dass der Ball rund ist und ein Spiel 90 Minuten hat.
Erstaunlich ist nur, dass sich vor allem die älteren Deutschen über das Versagen der Politik beschweren. Ob bei Stuttgart21 oder, noch offensichtlicher, bei Pegida, wo mittelalte und ältere Deutsche zum Teil in Divisionsstärke durch Dresden zogen und gegen eine vermeintliche Islamisierung ihrer weitestgehend islamfreien Heimatstadt protestierten.
Denn eigentlich sind es gerade die älteren Deutschen, die von der Politik der Bundesregierung profitieren. Sie sind es, die sich in gesellschaftspolitischen Fragen überproportional viel gehört verschaffen können, übermäßig häufig mit Wahlgeschenken bedacht werden und deren wirtschaftliche Lage weit besser abgesichert wird als die der Jüngeren.
Aber der Reihe nach. Das Sündenregister der Bundesregierung ist lang.
Vor allem ältere Menschen profitieren von der Politik der Kanzlerin
Die großen Profiteure der Bundespolitik sind derzeit Menschen, die etwa 50 Jahre oder älter sind. Die derzeitige Rentnergeneration ist – bei allen Härtefällen – wohl die reichste, die dieses Land jemals gesehen haben wird. Sie sind (im Westen) zur Zeit des „Wirtschaftswunders“ erwachsen geworden und haben vom stetig steigenden Wohlstand bis in die 90er-Jahre profitiert.
In dieser Welt gab es unbefristete Arbeitsverträge, Tariflöhne und 35-Stunden-Wochen. Der „Alleinverdiener“ war in dieser Zeit eher der Normalfall – und das nicht nur, weil es mit der Emanzipation in der alten Bundesrepublik noch gehapert hat. Es gab tatsächlich Zeiten, in denen ein Gehalt dazu ausreichte, eine Familie zu gründen und ein Haus zu bauen. Für viele junge Deutsche klingt das heute wie eine geradezu märchenhafte Geschichte aus einem fernen Land.
Die Zahl der Rentner in Deutschland ist mittlerweile so groß, dass jede politische Partei ihren Einfluss fürchten muss. Bei der Bundestagswahl 2013 war jeder zweite Wähler über 60. Die Folge: Wenn bei den Renten gespart werden muss, dann immer nur bei den nachfolgenden Generationen.
Rentenkürzungen sind de facto unmöglich
Das war so, als die Rente mit 67 eingeführt wurde. Und auch, als die Anrechenbarkeit des Studiums komplett gestrichen wurde – die 2005 wirksam gewordene Regelung betraf ausschließlich jene, die danach in Rente gingen und kostet dem Durchschnittsakademiker etwa zwei bis drei Prozent seiner Altersbezüge.
Die Generation der Babyboomer – jene Menschen also, die in Deutschland zwischen 1955 und 1970 geboren wurden – arbeitet gerade hart daran, die eigenen Privilegien zu verteidigen. Unterstützung bekommt sie dabei aus der Politik. Kein Wunder, sind doch viele Entscheider selbst Babyboomer.
Angela Merkel zum Beispiel. Die 1954 in Hamburg geborene CDU-Politikerin hat gleich nach ihrer Wiederwahl vor anderthalb Jahren zusammen mit ihrem 1959 in Goslar geborenen Vizekanzler Sigmar Gabriel und ihrer 1970 in Mendig geborenen Sozialministerin Andrea Nahles ein Rentenpaket auf den Weg gebracht, das bis 2030 etwa 230 Milliarden Euro kosten könnte.
Im Kern beinhaltet es die so genannte „Mütterrente“ und die „Rente mit 63“.
Wahlgeschenke an die Babyboomer
Die Mütterrente gilt nur für Frauen, deren Kinder vor 1992 auf die Welt gekommen sind. Damit ist diese Maßnahme fast schon per Definition ein Wahlgeschenk an die Babyboomer (und deren Eltern).
Für die „Rente mit 63“ kommen nur jene Arbeitnehmer infrage, die bis dahin 45 Berufsjahre vollendet haben. Bei Facharbeitern aus der alten Bundesrepublik, die nach ihrer Lehre eine unbefristete Stelle in der Industrie bekommen haben, ist das relativ häufig der Fall.
Für die Jüngeren aber, die nach der „Liberalisierung des Arbeitsmarktes“ Anfang des Jahrtausends in der Regel nur noch Zeitverträge bekommen und immer öfter Lücken in der Erwerbsbiografie haben, ist auch die Rente mit 63 eine jener sagenhaften Errungenschaften, die für die älteren Deutschen sehr realistisch sein mag, für die jüngeren aber eher den Politik gewordene Stinkefinger darstellt.
Dass diese dreiste Selbstbedienung der älteren Generationen in Deutschland in dieser Form stattfinden kann, hat viele Gründe: Die Politikmüdigkeit der jungen Bevölkerung, die demografischen Fakten, die Überalterung der Parteien und auch das gesamtgesellschaftliche Desinteresse an dem, was in Berlin passiert. In Deutschland sorgt Politik derzeit immer erst dann für Aufregung, wenn der Schaden bereits angerichtet ist.
Jugend hat keine Lobby
Ein besonders wichtiger Grund dürfte aber sein, dass die Jugend in Berlin derzeit keine Lobby hat. Und das liegt nicht nur daran, dass Menschen unter 35 schon immer in der Politik unterrepräsentiert waren. Es hat damit zu tun, dass die Alten schrittweise den ungeschriebenen Generationenvertrag aufkündigen, auf dem der Wohlstand der Bundesrepublik beruht. Und es geht dabei nur zum Teil um die Rente.
Über Jahrzehnte war es nämlich für die Eltern- und Großelterngenerationen ein selbstverständlicher Vorsatz, dass es ihre Nachkommen „einmal besser haben sollten“. Im Gegenzug haben die Kinder später dann in die Rentenkasse eingezahlt. Dieses gegenseitige Versprechen fällt gerade zusammen. Zu einseitig profitieren jene, die älter als 50 sind, vom warmen Geldregen aus Berlin. Und auch in Sachen Gesellschaftspolitik sind die Gegensätze offensichtlich.
Natürlich würden alle beteiligten Politiker nun lautstark protestieren. Sie würden bestreiten, dass ihnen die Zukunft dieses Landes weniger wichtig ist als sie das sein sollte. Doch die Fakten sprechen für sich.
Vorratsdatenspeicherung? Wird von einer Mehrheit der Jüngeren abgelehnt. Vielleicht ja auch, weil Menschen unter 50 in ihrem Leben mehr Daten produziert haben als Menschen über 50.
Homo-Ehe? Selbst die Facebook-Freunde von CDU-Generalsekretär Peter Tauber sind dafür. Die Kanzlerin aber knickt vor den Alten und Konservativen ihrer Partei ein und blockiert ein mögliches Gesetzesvorhaben.
Zukunftstechnologien? Werden von der Bundesregierung nur halbherzig gefördert. Man denke nur an den Ausbau der Breitbandverbindungen. Das beste Beispiel jedoch ist die Automobilindustrie, die gerade den Anschluss an die Weltspitze zu verlieren droht, weil richtungsweisende Elektroautos und massentaugliche, selbstfahrende Automobile nicht in Deutschland entwickelt werden, sondern in Japan und Amerika. Laut der groß angekündigten E-Mobil-Offensive der Bundesregierung sollen bis 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen unterwegs sein.Derzeit sind es 24.000.
Gesetze im Geiste der Großeltern
Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ hat vergangene Woche einen sehr klugen Text zur Familienpolitik veröffentlicht.
„In der Generation meiner Großeltern dominierte die Alleinverdiener-mit-Hausfrau-Ehe, ein romantisiertes bürgerliches Ideal, aus dem es kaum möglich war auszubrechen, ohne gesellschaftlich sanktioniert zu werden“, schreibt die Autorin Stefanie Lohaus, Jahrgang 1978.
„Aus dieser Zeit stammt aber unser Grundgesetz, das allein die heterosexuelle Kleinfamilie als staatlich schützenswerte Form des Zusammenlebens ansieht. Und in diese Zeit wurden auch diejenigen hineingeboren, die nun an der Macht sind. Die sich schwertun mit dem Wandel der Familienstrukturen, auch wenn dieser eigentlich schon längst stattgefunden hat.“
Von den Alten und Mächtigen geht eine Zukunftsgefahr aus
Tatsächlich sind die Älteren nicht nur in der Familienpolitik eine immer ernster werdende Zukunftsgefahr für die Bundesrepublik. Seien es die überwiegend männlichen und überwiegend grauhaarigen Law-and-Order-Politiker in SPD und Union, denen die Vorratsdatenspeicherung seit Jahren derart am Herzen liegt, dass sie sogar einen Verfassungsbruch riskieren würden.
Nehmen wir die Gegner der Homo-Ehe: Gesamtgesellschaftlich sind mittlerweile etwa drei Viertel der Deutschen für die Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften.In der Kanzlerinnenpartei CDU jedoch beträgt das Durchschnittsalter 59 Jahre. Und so spiegeln auch die Standpunkte der Unionsfraktion im Bundestag in dieser Frage schon längst nicht mehr den Volkswillen wider.
Auch die Affenliebe zum alten Verbrennungsmotor ist etwas, das vornehmlich ältere Deutsche teilen. Die jüngeren machen immer seltener überhaupt einen Führerschein.
Die Bundeskanzlerin (60 Jahre alt) jedenfalls hat bisher noch jedes Mal ihre guten Zukunftsabsichten verworfen, wenn es um die von ihr so hingebungsvoll gepflegte „Realpolitik“ ging.
Was kümmert die Kanzlerin heute noch der demografische Wandel?
Zum Ende ihrer zweiten Legislaturperiode, in den Jahren 2012 und 2013, wollte sie etwa das Thema „demografischer Wandel“ zur Chefinnensache machen. Dann kam die Bundestagswahl. Und die unsägliche Rentenreform, ein Kompromiss mit ihren Koalitionspartnern von SPD und CSU.
Oder ihr Einsatz gegen den Klimawandel in den Jahre 2007 und 2008. Bis zum G7-Gipfel in Elmau hat man seither nichts mehr von Merkel zu diesem Thema gehört.Nun haben sich die Staats- und Regierungschefs der sieben größten Industrienationen dem Zwei-Grad-Ziel verpflichtet.
Natürlich sind die Beschlüsse ein Lichtblick. Aber eigentlich ist die Euphorie, in der die Umweltverbände gerade verfallen, in Sachen Generationengerechtigkeit eine glatte Unverschämtheit.
Zeit für eine neue Jugendbewegung
Sieben Jahre lang hat Angela Merkel das Thema Klimapolitik zu vermeiden versucht. Sehr viel verlorene Zeit für die künftigen Generationen. Gleichzeitig stieg der Anteil der abgasintensiven Kohle am deutschen Energiemix stetig an. Jedem politisch Verantwortlichen war klar, was das bedeutet.
Die Bundesrepublik wird nämlich mit großer Wahrscheinlichkeit die selbstgesteckten Klimaziele verfehlen. Deshalb hat die Kanzlerin noch vor dem EU-Klimagipfel im Herbst 2014 daran mitgearbeitet, die Planzahlen nach unten zu korrigieren. Eine Farce, die gerade einmal ein Jahr her ist.
Den jüngeren Deutschen bliebt nicht mehr viel Zeit, um sich endlich einmal Gehör zu verschaffen. Das gilt nicht nur für die Klimapolitik, sondern auch für beinahe alle anderen Politikfelder. Denn gerade jetzt werden jene Fehler gemacht, die in Deutschland irgendwann für große Bestürzung sorgen werden – freilich erst dann, wenn man die Konsequenzen erkennt.
Wenn dieses Land weiterhin auf Autopilot fliegt, und wichtige Weichenstellungen weiterhin verschlafen werden, werden eines Tages nicht die Anständigen den Aufstand proben, sondern mit ziemlicher Sicherheit die Unanständigen. Und Massenbewegungen wie „Pegida“ waren dafür dann nur ein leises Vorspiel.
Quelle: Huffington