Wolfgang Hawly

Nobelpreisträger und streitbarer Geist                                                                 Star-Ökonom Paul Krugman: „Der Euro ist wohl nicht zu retten“

Der berühmte Wirtschaftsprofessor Paul Krugman spricht Klartext: Er lobt zwar den Euro, erwartet aber seinen Untergang. Und er wirft Deutschland im Umgang mit den Euro-Südländern Heuchelei vor: Früher habe Deutschland von der dortigen Inflation profitiert, heute verlange es strikte Sparpolitik.

Er ist weltweit einer der einflussreichsten Wirtschaftswissenschaftler. 2008 bekam Paul Krugman den Nobelpreis. Krugman lehrt als Professor an der Universität Princeton und schreibt einen viel beachteten Blog in der „New York Times“. Der Experte sprach auf dem Asian Financial Forum in Hongkong und beantwortete Fragen von FOCUS-MONEY und anderen internationalen Medien. Lesen Sie die Ausführungen Krugmans zu den wichtigsten Themengebieten für die Finanzmärkte. Vorsicht: Er provoziert gerne die Deutschen.

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„Zunächst: Ich würde das Rentensystem in Frankreich sofort ändern – auch wenn das Sozialsystem dort ansonsten sehr erfolgreich funktioniert. Griechenland ist eine völlig andere Geschichte. Dort geht es wirklich um Staatsverschuldung. Nehmen Sie auf der anderen Seite Spanien, das in vieler Hinsicht den Kern der Probleme illustrieren kann. Spanien hatte eine riesige Immobilienblase, die durch verantwortungslose Vergabe von Hypotheken befeuert wurde. Die verantwortungslose Kreditvergabe wurde durch eine Unmenge an Krediten unter institutionellen Anlegern ermöglicht.

Reuters Wolkenkratzer in der spanischen Stadt Madrid.

In anderen Worten: Die spanischen Cajas (Sparkassen) liehen sich viel Geld von den deutschen Landesbanken, um schlechte Hypotheken zu vergeben. Können Sie jetzt sagen, dass das ein komplett spanisches Problem ist – mit dessen Lösung Deutschland ganz und gar nichts zu tun hat? Das scheint nicht richtig zu sein. Die Probleme umfassen ganz Europa. Deutschland ist nicht der weiße Rabe. Und auch aus ökonomischer Sicht: Deutschland steckte in den 90ern in schweren Problemen, einer sehr schwachen Konjunktur.

Herausgekommen sind die Deutschen dank eines Booms und hoher Inflationsraten in Südeuropa.Und jetzt? Jetzt haben sich die Rollen umgekehrt, und die Deutschen sagen: ‚Oh, nein, wir können keine Inflation akzeptieren, die Südeuropäer müssen sich mit ihrer Deflation abfinden.‘ Das ist keine faire Lastenteilung.“

Vita Paul Krugman

Geboren am 28. Februar 1953 in Albany/New York

1977Ph.D. an der Eliteuniversität MIT

Seit 1977Professuren an den Universitäten Yale, Stanford, MIT,seit 2000in Princeton

1983 bis 1993Mitglied des Council of Economic Advisers des US-Präsidenten

2008Verleihung des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften

„Auf der einen Seite wollen oder müssen alle ihre Schulden zurückzahlen. Auf der anderen steht die ’säkulare Stagnation‘, ein Mangel an Investment-Chancen. In anderen Worten: Die Weltwirtschaft will negative Zinssätze. Die internationalen Investoren sehen so wenige gute Chancen bei riskanten Anlagen, dass sie diese nur kaufen, wenn es für sichere keine Verzinsung mehr gibt. In Deutschland liegt die Rendite für fünfjährige Staatsanleihen bei minus 0,05 Prozent. Das heißt doch nichts anderes, als dass die Stimmung so schlecht ist, dass Anleger bereit sind, den deutschen Staat dafür zu bezahlen, dass er ihr Geld schützt. Und es heißt: Die Erwartungen für die Konjunktur in den nächsten fünf Jahren sind extrem schwach.

. . . und die Gründe

„Viel tiefer kann es kaum gehen. Ich wundere mich schon über die Schweizer Nationalbank mit ihren minus 0,75 Prozent. Da muss es fast günstiger sein, Bargeld ins Schließfach zu stecken. Mit 0,2 Prozent ist es wie mit den Mäusen, die etwas wegknabbern. Uns mag das merkwürdig vorkommen, aber es ist ja nicht so, dass die Zentralbanken einfach irgend jemanden bestrafen wollen. Die Realwirtschaft ruft vielmehr nach niedrigeren Zinsen– auch wenn sie nur noch bei null liegen. Machen Sie nicht die Europäische Zentralbank verantwortlich, sondern die Entwicklung der Realwirtschaft.

Wenn Sie sich die europäische Wirtschaft anschauen würden, ohne die Leitzinsen zu kennen: mit niedrigen und fallenden Inflationsraten, deflationären Tendenzen und einer sehr schwachen Realwirtschaft? Sie würden sagen, die Leitzinsen sind zu hoch. Wenn die EZB Leitzinsen von vier Prozent hätte, würden wir doch sofort Zinssenkungen fordern. Die gleichen Symptome bei null Leitzinsen signalisieren doch, die EZB muss etwas tun.“

. . . ein Scheitern des Euro

„Wenn ich eine Zeitmaschine hätte und in die 90er zurückgehen könnte, würde ich laut rufen: Nein! Tut es nicht. Aber jetzt den Euro auflösen? Das ist nicht so einfach. Es gäbe nicht nur ein Finanzchaos. Sondern vor allem einen hohen politischen Preis. Das Projekt Europa, der breitere Prozess – Wohlstand durch Frieden und Demokratie – wären gefährdet. Der Euro war ein großer Fehler, aber jetzt müssen wir ihn retten. Das hört sich verrückt an, trifft aber die Lage. Letzten Endes wird der Euro aber wahrscheinlich nicht zu retten sein.“

und die Zukunft der Währungsunion

„Vor zweieinhalb, drei Jahren gab es ein großes Risiko, dass die Währungsunion auseinanderfliegt. Mario Draghi rettete den Euro mit drei Worten: ‚Whatever it takes …‘. Die ‚heiße Phase‘ der Euro-Krise ist wohl unter Kontrolle. Selbst mit Griechenland und der Syriza-Regierung.  Aber die europäische Konjunktur rutscht in eine Deflation ab. Und es ist nichts in Sicht, um das abzuwenden. Weder eine Bankenunion, geschweige denn eine Fiskalunion. Einen Fiskalpakt werde ich wohl nicht mehr erleben. Jetzt drohen populistische Parteien an Einfluss zu gewinnen. Syriza ist von all diesen Gruppierungen wahrscheinlich noch die am wenigsten unangenehme. Stellen Sie sich eine Marine Le Pen als französische Präsidentin vor. Dinge, die vor einigen Jahren in Europa nicht gesagt werden konnten, sind jetzt Mainstream.“

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 . . . drohende japanische Verhältnisse in Europa„Alle Zutaten stimmen: Beinahe Deflation und ein Rückgang der Bevölkerungszahlen, insbesondere in den wichtigen Altersgruppen. Es ist wie in Japan – allerdings ohne die soziale Kohäsion.“

. . . die Kursentwicklung des Euro

„Wir wussten schon seit einiger Zeit, dass Quantitative Easing (Staatsanleihenkäufe, kurz QE) kommen würde. Deswegen steckt schon sehr viel im Kurs des Euro. Eine Prognose über den weiteren Verlauf ist vor diesem Hintergrund schwierig. Einige exportstarke Länder werden von einem starken Euro profitieren, Europa als Ganzes nicht so sehr; der meiste Handel findet zwischen den Mitgliedsstaaten statt. In einer Welt, in der es generell an Nachfrage fehlt, ist eine Währungsabwertung der Versuch, sich auf Kosten der Nachbarn einen Vorteil zu verschaffen.“