Wolfgang Hawly

Smartphone statt Filiale                                               Die Bank von morgen ist heute schon von gestern

 

Loungebereich, Videoberater und Kuschelecke: Die Banken wollen mit modernen Vorzeigefilialen Finanzgeschäfte zum Erlebnis machen. Dabei kann das Smartphone künftig jede Bank ersetzen.

Berliner Vorzeigefiliale der Deutschen Bank.

Es wirkt wie ein letzter verzweifelter Versuch: Deutschlands Banken pimpen ihre Filialen auf. Vorbild sind einige Musterbanken in Großstädten wie Berlin und Stuttgart. In der „Bank der Zukunft“ gibt es Lounge-Ecken mit trendigen Möbeln, in denen Latte macchiato ausgeschenkt wird. Shops, in denen verschiedene Sorten Marmelade feilgeboten werden. Und Kinderecken mit Spielzeugburgen, in denen geschulte Pädagogen die Kleinen beaufsichtigen, damit ihre Eltern möglichst ungestört mit dem Bankberater über einen neuen Sparvertrag plaudern können.

Selbst die Tische, an denen sich Banker und Kunden niederlassen, haben als Tischplatte eine Art riesiges iPad, auf dem man nach Herzenslust Unterlagen aufrufen und bearbeiten kann. Auf Knopfdruck lässt sich zudem ein Videoberater aus der Zentrale dazuschalten, der sich beispielsweise mit speziellen Wertpapieren besonders auskennt.

Alles ist in der „Bank der Zukunft“ so ausgelegt, dass es möglichst wenig nach Bank aussieht, wie es eine Kundin in einem Werbefilm der Deutschen Bank eigentlich recht treffend formuliert. Die Banken antworten auf die schwerste Identitätskrise in ihrer Geschichte, indem sie Filialen erfinden, in denen sich der Kunde überall wähnt, nur nicht in einer Bank: im Lifestyle-Café beispielsweise, wo er sich gern aufhält, in einem netten Laden mit hippen Dekor-Artikeln – oder gar im neuen Apple Store. In den Filialen der Zukunft feiern die Banken den Abschied von der eigenen Verstaubtheit.

Aber haben die Banken damit eine Chance? Oder ist die Bank von morgen heute womöglich längst von gestern? Wer in einer Großstadt wie Frankfurt in eine geschniegelte Bankfiliale kommt, in der vorne im Eingangsbereich vor den Geldautomaten ein paar Leute warten, ansonsten aber gähnende Leere herrscht, den beschleicht ein Verdacht: Die ganze Modernisierung, von den Banken mit so viel Aufwand betrieben, ist womöglich vergebens. Die Bankfiliale der Zukunft ist 12,4 Zentimeter hoch, 5,8 Zentimeter breit und wiegt gerade mal 112 Gramm. Die Bankfiliale der Zukunft steckt in einem Smartphone.

Auf jeden Fall musste man diesen Eindruck gewinnen, als Apple in Amerika kürzlich sein neues Bezahlsystem Apple Pay einführte, das irgendwann auch nach Deutschland kommen soll. Innerhalb von nur drei Tagen meldeten sich mehr als eine Million Kunden dafür an. Das neue System soll es einfach machen, im Supermarkt mit dem Smartphone zu bezahlen.

Damit könnte vielen Leuten der Hauptgrund, der sie im Augenblick noch in Bankfilialen treibt, genommen werden: Sie müssten nicht mehr zum Geldautomaten. Zwar gibt es in Amerika noch eine Menge Anfangsschwierigkeiten – und wann und wie erfolgreich das Modell auch in Deutschland eingeführt wird, ist noch unklar. Sicher aber ist: Das Bankgeschäft erlebt noch einmal eine Revolution. Der technische Fortschritt sorgt für die Emanzipation des Bankkunden von der Bankfiliale: Und es ist noch keineswegs ausgemacht, ob die großen Spieler der alten Bankenwelt auch die wichtigsten Spieler der neuen sein werden. Im Gegenteil: Schon jetzt ist zu erkennen, dass es eine Vielzahl kleiner Start-ups gibt, im Branchenjargon Fintechs genannt, die klassische Bankfunktionen vom Zahlungsverkehr bis zum Aktienhandel für Smartphone, Tabletcomputer oder PC anbieten.

Flagship-Filialen funktionieren nicht

Zudem rüsten sich die Internetgiganten Apple, Google und Amazon, ihre gewaltigen Kundenstämme, ihre technische Leistungsfähigkeit und ihre Erfolge im Sammeln von Daten auszunutzen, um ihrerseits den Banken Konkurrenz zu machen. Zuletzt sorgte eine geplante Kooperation zwischen der chinesischen Internetplattform Alibaba und Apple für Schlagzeilen – die Revolution des Zahlungsverkehrs lockt die Großen offenbar sehr. „Die Banken sind gut beraten, das im Auge zu behalten“, heißt es in einer Studie der Deutschen Bank.

von MARIE BAUMANN UND CHRISTIAN SIEDENBIEDEL

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