Ökonom Hans-Werner Sinn warnt: „Deutschland läuft auf eine Staatskrise zu“
Manche Beobachter gehen davon aus, dass die Wirtschaftskrise Geschichte ist. Der deutschen Wirtschaft gehe es doch gut, der deutsche Arbeitsmarkt sei in guter Verfassung. Alles also prima…
Doch das ist ein fataler Irrglaube. Denn die deutsche Wirtschaft hängt maßgeblich von der Zukunft der Europäischen Union ab. Und hier ist die Lage weiter düster.
Italien und Frankreich wehren sich weiter gegen längst überfällige Reformen, die Banken schleppen noch immer gefährliche Altlasten mit sich herum und EZB-Chef Mario Draghi weitet sein Aufgabengebiet immer weiter aus. Der Ankauf von Kreditverbriefungen mit dem Ziel, den Markt wiederzubeleben, habe „nichts mit Geldpolitik zu tun“ und habe „unkalkulierbare Risiken“, warnte Jürgen Stark, Ex-Chefvolkswirt der EZB, im aktuellen „FOCUS“.
Ökonom Sinn: Es droht „die nächste Kapitalvernichtung“
Auch ifo-Chef Hans-Werner Sinn, einer der Top-Ökonomen Deutschlands, warnt vor Draghis Mitteln. Sie seien nicht dafür geeignet, Probleme wie eine angeblich drohende Deflation zu lösen, sagte Sinn nach Angaben der „Welt“ am Mittwoch bei der Vorstellung seines neuen Buchs „Gefangen im Euro“.
Sinn fordert von der Großen Koalition, gegen den EZB-Kurs zu rebellieren. Denn wegen der Geldschwemme der EZB drohe „die nächste Kapitalvernichtung“. „Schon jetzt“, so Sinn, „läuft Deutschland in 15 Jahren, wenn die Babyboomer in Rente gehen, auf eine Staatskrise zu. Wenn da noch die Rettungspolitik oben draufkommt, bei der die Risiken von Investoren auf die Bürger umgelenkt wurden, wird das Problem noch größer“, zitiert die „Welt“ den ifo-Chef.
Sinn rechnet gnadenlos mit der Euro-Rettungspolitik ab. „Europa drohen zwei verlorene Jahrzehnte“, sagte Sinn laut der „Welt“. Sinn meckert nicht nur. Er hat auch eine klare Vorstellung davon, was anders laufen muss.
Er fordert unter anderem Schuldenschnitte für Europas Pleitestaaten und die Möglichkeit, dass innerhalb der Euro-Zone auch andere Währungen möglich sein müssten.
Allein nur: Er glaubt nicht daran, dass sich am Status Quo etwas ändert. Sinns Schreckenszenario: „Ich erwarte eine Fortsetzung der Kapitalvernichtung mit langjährigem Siechtum.“
Bereits am Dienstag hatte Nobelpreisträger Joseph Stiglitz im „Handelsblatt“ über Deutschlands merkwürdige „Alles ist super“-Sicht gelästert. Schließlich sei Merkels Konzept des Sparens in Europa „gescheitert“, so Stiglitz. „Niedrige Löhne, niedrigere Gewinne und geschwächte Sozialsysteme – all das wurde im Namen der Euro-Rettung in Kauf genommen“, wetterte Stiglitz.
Zudem werde die deutsche Wirtschaft „überschätzt“. Sie sei in den vergangenen fünf Jahren durchschnittlich um 0,63 Prozent gewachsen. „Unter normalen Umständen würde man eine solche Rate als Versagen bezeichnen. Deutschland sieht nur deshalb so stark aus, weil die andere Staaten Europas so schlecht aussehen“, stichelte Stiglitz.